01  Was, wenn niemand kommt?

Ein Chor, ein Keller und viele Fragen

Ich habe jetzt angefangen mit den Vorarbeiten – letzte Woche war ich bei der Stadtkantorei. Dort hatte ich im Februar das Projekt kurz vorgestellt und darum gebeten, dass alle sich Gedanken machen sollen, ob sie Teil davon sein könnten. Dienstag war ich dann da und hatte im Keller des Gemeindehauses ein kleines Photostudio improvisiert – einfach zwei Leselampen von zu Hause, eine mit warmem und eine mit kaltem Licht. Das ist für mich am interessantesten beim Malen.


 

Ich saß also im Keller und hatte Angst, dass niemand kommt. Außerdem hatte ich schon einen langen Arbeitstag und eine weitere Besprechung hinter mir und bin oft ängstlich in sozialen Situationen. Ich wusste nicht, was mich erwartet.


 

Die erste Person, die hereinkam, wollte eigentlich nur was holen und sagte rundheraus, dass sie nicht mitmachen würde. Konnte ich total verstehen und nahm das überhaupt nicht übel, aber mein Herz sank ins Bodenlose. Was, wenn keiner kam?


 

Und dann kam der erste. Hallo, ich bin Jana, sagte ich und freute mich. Ich schrieb mir den Namen auf, gab ihm die laufende Nummer 001 (wir erinnern uns, ich muss auf 144 kommen) und fragte ihn nach seiner Lieblingsfarbe. Blau. Und dann nach seinem Lieblingslied.


 

Im weiteren Verlauf stellte ich fest: mussten die meisten Menschen schon bei ihrer Lieblingsfarbe überlegen, so warf sie die Frage nach ihrem Lieblingslied völlig aus der Bahn! Ich dirigierte alle Teilnehmenden, sich auf den ausgeleuchteten Platz zu stellen, justierte das Licht noch etwas nach und bat sie, etwas zu singen für das Foto. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass so viele erschrocken sagen würden: „Mir fällt überhaupt nichts ein!“


 

Ich war erstaunt, immerhin fotografierte ich Menschen, die Singen als Hobby betrieben! Letztlich fanden wir doch jedesmal eine Lösung: Manchmal bot ich an, mitzusingen, einige intonierten kurzerhand das Stück, das zeitgleich oben im Chorsaal geprobt wurde (die Johannespassion) und mehr als einmal sangen wir einfach „Viel Glück und viel Segen“. Mit besonderer Freude erinnnere ich mich an den Tenor, der „Dancing Queen“ von Abba sang, an die junge Sängerin, die lachend und enthusiastisch die Marsellaise schmetterte und an die reizende Dame, die „Dat du min Leevsten büst“ trällerte.


 

Man merkt schon: Entgegen meiner Befürchtungen kamen sehr wohl Menschen, die mitmachen wollten. Erst tröpfchenweise, dann immer mehr, bis ich zeitweise ein wartendes Grüppchen von 15 fröhlichen Chormitgliedern hatte. Sechsundvierzig waren es am Ende des Abends, alle drei Minuten hatte ich einer neuen Person die Hand geschüttelt und in die Augen geblickt – und es war eine Freude, sie alle kennenzulernen! So unterschiedliche Menschen: groß, klein, dick, dünn, alt, jung, mit vielen Haaren und wenig, mit Brille und ohne, zurückhaltende und extrovertierte, einige warfen sich mit Eifer ins Gefecht, aber viele waren auch sehr schüchtern. Manche befürchteten, nicht gut genug auszusehen und andere hatten Angst zu singen.


 

Immer wieder erklärte ich, dass es nicht um Schönheit ginge bei diesem Projekt, sondern um Verschiedenheit und wie in einem Chor aus vielen Stimmen ein Klang wird. Es geht nicht um die Oberfläche, um das Aussehen, sondern um die Tiefe, den Klang. Ich versuche ja auch gar nicht, die Menschen möglichst gleichmäßig und glatt auszuleuchten wie in der professionellen Fotografie – im Gegenteil, ich bin interessiert an Falten, Nasen, Lippen und coolen Schatten.


 

Auch musste ich immer wieder betonen, dass ich weder Tonaufnahmen mache noch Chorleiterin bin – es sei mir wirklich komplett egal, wie und was sie sängen, es dürfte auch gerne leidenschaftlich falsch gesungen werden.


 

So traten sie also einer nach dem anderen in bisschen nervös ins Lampenlicht und waren erstaunt, als nach drei Minuten schon alles vorbei war. Und wie süß die einfach alle sind! Der schönste Moment war eigentlich, als die Person vom Anfang, die direkt gesagt hatte, dass sie nicht dabei sein wolle, noch einmal kam und doch mitmachen wollte. Dir ein ganz besonderes Dankeschön!


 

Ich habe nun ein Tabellendokument erstellt, in dem alle mit laufender Nummer, vollem Namen, Lieblingsfarbe und dem gesungenen Lied vermerkt sind. Ich wurde übrigens mehrfach gefragt, warum ich das Lied notiere: Das weiß ich selbst nicht! Ich wollte die Information einfach nicht verloren gehen lassen und habe den Gedanken, das Lied jeweils auf die Rückseite des Portraits zu schreiben. Vielleicht auch nicht, vielleicht etwas anderes, mal sehen.


 

Die Fotos werde ich hier aus Datenschutzgründen nicht veröffentlichen, aber ich habe sie gesichtet und mich bei den meisten für ein Bild entschieden. Bei einigen war es schwer, da gab es mehrere wunderbare Schnappschüsse, da habe ich die Entscheidung auf später vertagt. Aber ich habe jetzt richtig Lust, mit dem Malen anzufangen, aber ich bin mit den Vorarbeiten noch nicht fertig. Ausserdem sind 46 Teilnehmende toll, aber ich möchte 144 und werde noch den ganzen März mit Fotoaufnahmen beschäftigt sein. In der Stadtkantorei, aber auch demnächst mit dem Kinderchor... Das wird bestimmt nochmal ein ganz anderes Erlebnis!

© Jana Nielsen. Alle Rechte vorbehalten. 
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